Licht und Ursprung
Die Rosa Mystica an der St. Mariä Himmelfahrt Wesel
Komposition in Bild und Ton
von Otfried Jaeger und Willem Winschuh
Mit Texten von Heike Molitor
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Eine Betrachtung von IvJ
Nun stehe ich vor der St. Mariä Himmelfahrt in Wesel, deren neogotisches Portal sich gleichsam mahnend an den von Prof. Rudolf Schwarz geschaffenen Nachkriegsbau schmiegt. Ich zähle die Fenster der Rosette an der Westwand, geschaffen im Jahr 1952 vom Weseler Architekten Theo Jaeger (1927-2009). Es sind 22 Rundfenster an der Zahl, die als Rosa Mystica in ihrem sakralen Farbspiel die Geschichte des Heilsgeschehens mitten ins Zentrum der Stadt Wesel setzen. Um ein großes zentrales Rosenfenster reihen sich ringförmig 21 weitere Rosettenfenster in drei Radien.
So führt und das künstlerisch geschaffene Westfenster der Kirche St. Mariä Himmelfahrt Wesel gedanklich zu den großen Kirchen und Kathedralen der Romanik und Gotik.
Die symbolhafte Zahl 7 findet sich hier wieder: Die Kreise der sieben Freuden und sieben Schmerzen Marias seien hier gemeint, so lese ich in dem Buch St. Maria Himmelfahrt Wesel. Wie mag die Rosa Mystica vom Kirchenraum aus wirken, wenn das Licht von außen in den archaischen, Basilika-förmigen Bau einfällt?
Das wird deutlich, wenn wir das Gesamt-Kunst-Werk von Otfried Jaeger und Willem Winschuh näher betrachten und in das Werk Licht und Ursprung „eintauchen“:
Direkt zu Beginn des Films betreten wir den Kirchenraum mit 11 hörbaren Schritten, wobei sich vorab das Licht der Rosette im Fußboden widerspiegelt, bevor die Rosette zu leuchten beginnt in den Farben Gelb, Rot und Blau.
Licht und Ursprung ist eine großartige Hommage an eben diese Rosa Mystica der in der Nachkriegszeit erbauten Kirche St. Mariä Himmelfahrt in ihrer schlichten und bestechenden Wirkung.
Das Werk von Otfried Jaeger und Willem Winschuh besteht aus 11 Themenkreisen, die eindrucksvolle Textimpulse von Heike Molitor mit zutiefst eindringlichen und tiefgründigen Orgelimprovisationen Winschuhs und bisweilen auch mit Chorgesang vom Kammerchor Rheinland Cantare et Sonareverbinden. Damit verbunden ist das imposante Film-Kunstwerk von Jaeger, das zu einem kreativen Dialog zwischen Wort, Ton- und Bildsprache führt. Alt- und neutestamentliche Texte werden so hörbar und veranschaulicht:
Vom Warten auf das heilbringende Licht durch den Erlöser Jesus Christus, von der Jungfrau Maria als Auserwählte, die durch ihr Ja uns den Heiland als Erlöser geboren hat, dem sie als Mutter auch in seinen abgrundtiefen Zeiten zur Seite steht. Von der Begegnung mit Simeon im Tempel, vom Garten Gethsemane, dem Ort, in dem Jesus in großer Angst und Not betete, vom Leidensweg Christi, Via Dolorosaund Golgota dem Ort (Hügel zu Jerusalem) der Kreuzigung und des Todes Jesu, bis hin zu der Auferstehung und dem ewigen Leben und schließlich von der Sendung des Heiligen Geistes.
Heike Molitor gelingt es, die Fragen der Menschheit nach dem heilbringenden Licht im christlichen Glauben aufzuwerfen und zu beleuchten. Die poetischen Texte bestechen in ihrer Prägnanz. Unterlegt werden diese Textdichtungen mit dem Aufleuchten der Kirchenrosette in ihren eindrucksvollen filmischen Szenen und Klangnuancen der Orgel. Lichtstrahlen symbolisieren das heilbringende Licht, das auf die Dunkelheit folgt.
Die Frau und der Drache beginnt mit meditativen Orgelklängen, die sich langsam verdichten. Hier ist die Offenbarung des Johannes gemeint, der Kampf der Frau gegen den Drachen. Parallel zur Orgelimprovisation zeigt sich ein „Urgestein“, das nebelartig den Raum verhüllt und schließlich den Kirchenraum zu erkennen gibt. Die Orgelklänge „fühlen sich an“ wie ein Suchen im Dunkeln. Die Musik bleibt in Kooperation zum bewegten Bild. Winschuh fügt einen Ausschnitt eines Choralsatzes in seine Improvisation ein; dieser strahlt Zuversicht aus und besticht in seiner Schlichtheit. Zudem deutet dieser die Erwartung des heilbringenden Lichts an. Das Leuchten der Rose spiegelt sich schließlich in den Oberton-Klängen wider. Wunderbar gelingt Winschuh und Jaeger eine synchrone Ton-Bild-Sprache, die in ihrer Vielschichtigkeit ihresgleichen sucht! Überraschend folgt das Kirchenlied „Sagt an, wer ist doch diese“, gesungen als Chorsatz vom Kammerchor Rheinland Cantare et Sonare. Das schlichte Lied verehrt Maria als die „reinste Rose“, und schlägt wiederum den Bogen zur Rosa Mystica. So einfach und ergreifend der Kantionalsatz von Winschuh gesetzt ist, so schlicht und schön musiziert der Chor unter dessen Leitung und unterstreicht damit die Aussage zu den in Szene gesetzten Rosettenfenstern: Maria im Glanz des Lichtes.
In Erwartung improvisiert Benedict Jaeger, Schüler Willem Winschuhs, zur Thematik „Erwartung“. Seine sensibel angelegte und gekonnt ausgeführte Improvisation für Orgel über die O-Antiphon „Herr, send herab uns deinen Sohn, die Völker harren lange schon“ stellt uns die lange Zeit des Wartens auf den Messias vor.
Dem „… und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus“ liegt das Lied Maria durch ein Dornwald zugrunde. Heike Molitor rezitiert zu dem Text zu einer Wüstenlandschaft in Grautönen, die von einer verhüllten Frau durchwandert wird. Die Weite ist eindrucksvoll, aber auch ebenso beängstigend. Dazu erklingt eine orientalische Melodie auf der Traversflöte (Monika Seiler). Warum eine orientalische Weise, mag man fragen? Winschuh schickt dem Kirchen-Lied „Maria durch ein Dornwald ging“ diese eindrucksvolle Melodie voraus. Diese erinnert daran, dass wir uns im Nahen Osten befinden. Die Flöte klagt, wie die ney des Orients, eine Schilfrohrflöte. Sie vermittelt Weite des Raumes, Weite der Wüste. Auch werden die Tonhöhen von der versierten Traversflötistin Monika Seiler bewusst etwas zu hoch oder zu tief intoniert, umspielen somit den eigentlichen Klang, wodurch das Ganze dann tatsächlich „orientalisch“ anmutet. Monika Seiler interpretiert mit ihrer ganzen Musikalität und Spielfreude diese kleine Cantilene von Willem.
Wunderbar ist dann das überraschende Einsetzen des Chores, dessen Satz ebenfalls von Willem Winschuh arrangiert wurde. Dabei mischen sich ganz leise und vereinzelt „moderne Klänge“ in das volkstümlich Lied. Dazu werden prägnante Bilder der Rosette gezeigt, die die Wüste vergolden und leuchten lassen. Dem Lied wird ein orientalisches Flöten-Solo eingeschoben, das wiederum von einer Wüstenlandschaft umrahmt wird. In der letzte Strophe „Da haben die Dornen Rosen getragen“ erscheinen weiße Wildrosen, die sich zum Schluss in das Leuchten der goldenen Mittelrose der Rosette verwandeln:
„Und aufgeblüht war die Rose, ein Strahlen inmitten der tiefsten Schatten. Das Kind war in der Welt.“ Die Erwartung wurde erfüllt! Maria in Erwartung – „wir in Erwartung des Wunders!“ (H. Molitor). Der Prophet Simeon erkennt den Heiland, den Lichtbringer! Seine Weissagung treibt Dornen in Marias Herz… Mit dem unterlegten Choralzitat „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ tritt wiederrum die Botschaft des heilbringenden Lichtes für die Völker hervor.
Der Garten Gethsemane wird hier zunächst mit schwarz weißen Baumstämmen und nacktem Geäst dargestellt, die in ihrer Größe hoch aufragen, ohne Laub. Nur Stämme, Äste und Zweige sind zu sehen. Eine Filmszene zu Jesus in aussichtsloser Angst. Sie korrespondiert mit Worten H. Molitors. Plötzlich erklingen tiefe getragene Orgelklänge, Liegetöne, die geschichtet werden. Darüber erhebt sich eine feine Melodie aus „Neuen Klängen“. Die Affekte der Trauer, des Leids sind hier nachgespürt. Dazu zeigt sich zaghaft hier und da das Leuchten der gelben Rosette wie ein Lichtblick – aber auch der Judas-Kuss in einem abrupten Cluster.
„Vater, lass‘ den Kelch an mir vorüber gehen!“ scheinen hier die Worte Jesu zu sagen. Dazu das Dunkel des Waldes, die Orgelimprovisation, die den Choral „Was mein Gott will, das geschieh allzeit.“ zitiert. Und bei all der Dunkelheit erscheint dennoch das noch zaghafte Leuchten einer Kerze, die Licht in die Bäume wirft. Vielleicht hier schon die Hoffnung auf Erlösung…
Es folgt der steinige Weg, Via Dolorosa. Molitors Text zeigt eine bewegende Reflexion des Schmerzensweges Jesu auf. Sein Weg über Geröll und Stein, das schwere Kreuz auf den Schultern, das Stürzen, das Erbarmen eines Gnädigen, der ihm das Kreuz abnimmt, die weinenden Frauen am Wege. Die Verspottung durch die Menge. „Sein letzter Weg, voller Elend.“ Hier werden von Jaeger und Winschuh in Bild und Ton Momente eingesetzt, die den Weg und die „Stolpersteine“, die unendliche Bürde Jesu versinnbildlichen und auch deutlich werden lassen. Die Ostinati zeigen die Weg-Schritte Jesu, die der Hörer wahrnimmt und mitverfolgt, gleichsam mit-be-schreiten lässt. Liegeklänge in Verbund mit clusterartigen Schichtungen mischen sich im „Passionsspiel“ der farbig bewegenden Bilder wieder. Einfühlsam und zeitgleich zeigt Jaeger den Steinboden der Mariä Himmelfahrt in Bewegung und unterstreicht so die Weg-Beschreitung. Die Rosette erscheint, als werfe sie Sternenschweife. Dann wiederum ist der gesamte Kirchen-Raum in schwarz-weiß getaucht, nur die Rosette lässt Licht durchdringen. Ein langes Klang-Clustergebilde am Schluss! Dunkel. Ausatmen. Vakuum. Todesstille.
Stabat Mater wird mit der Kreuzigungs-Gruppe des barocken Bildhauers Gabriel Grupello (um 1717) eingeleitet. Das Licht erscheint in einem weichen Violett als Farbe des Übergangs. Die Schatten der Gruppe leuchten auf der Wand der Apsis. Maria ist bei ihrem Sohn, durchleidet Jesu‘ Schmerzen als ihre eigenen, weicht nicht von ihrem Sohn! „Bei-stehen“, so benennt es Heike Molitor: Sehr eindringlich erklingt nun Christi Mutter stand mit Schmerzen. Aufgewühlte, aber auch meditative Klänge der Orgel reflektieren die Schmerzen Mariens. Im Kolorit und Figuration dieser Klänge scheint das Kirchenlied wie ganz von ferne kurz aufzuleuchten. In fortführender Improvisation zeigt sich das Antlitz des gekreuzigten Jesus: „Ein Schwert wird deine Seele durchdringen.“ (Prophet Simeon) Ruhige Klänge, Hoffnung hervorrufend, schließen sich an und mit ihnen das schon hoffnungsvolle Licht der Rosette, die die Grupello Gruppe nochmals aufleuchten lässt.
In Pieta wird die Mutter Maria als Maria Dolorosa beschrieben, die ihren vom Kreuz abgenommenen Sohn noch einmal in den Armen hält. Heike Molitor findet treffende Worte, die berühren. An dieser Stelle erklingt nochmals eine Solo-Flöte in orientalischer Manier von Willem Winschuh. Die Melodie zur Pieta drückt Schmerz und Leiden aus, assoziiert Einsamkeit.
Auferstehung beginnt mit einer meditativen Orgelimprovisation Willem Winschuhs und Dave Tschorz. Hierzu wird ein Fels eingeblendet, der an das verschlossene Grab erinnert. Raum und Zeit scheinen stehen zu bleiben. Die Rosette wird in warmem Licht eingeblendet. Modale Tonarten dienen zunächst als Grundlage der Improvisation. Fast unmerklich mischt sich der Klang des Saxophons ein. Immer eindringlicher wird die Verschmelzung von Orgelklängen und Saxophon-Melodie. Die anfängliche Vorsicht und Zartheit verdichtet sich zur Gewissheit, zum Freudenruf: Der Herr ist auferstanden! Beeindruckend, wie Willem Winschuh und Dave Tschorz eine Steigerung zu den Bildern der Rosette und des Kirchenraumes von Otfried Jaeger schaffen. Wunderbar gelingt ein Dialog zwischen Orgel und Saxophon! Es zeigt sehr eindrucksvoll, wie sehr es den beiden Musikern gelingt, aufeinander eingehen, was alles andere als selbstverständlich ist! Virtuos und mächtig wird der Kirchenraum ausgefüllt mit der eindringlichen Improvisation der beiden Musiker! Abgestimmt auf die Duo-Improvisation zeigt sich das „heilbringende Licht“ der Rosette in all seiner Strahlkraft!
Pfingstfragen formuliert Heike Molitor so, dass diese zum Nachdenken anregen. Was ist der heilige Geist? Ein Feuer der Liebe? Das Göttliche in seiner Kraft.
Es erklingt eine große Improvisation, die wiederum Orgel und Saxophon verschmelzen lassen. Die Klänge steigern sich ins virtuos Euphorische, Licht der Rosette dazu und dann tausend Lichter von Kerzen, die den Heiligen Geist symbolisieren. Toccaten-artige Klänge der Orgel füllen den Raum, darüber erhebt sich „jubelnd“ die Melodie des Saxophons.
Dieses Gemeinschaftskunstwerk ist eine großartiges Dokument! Es zeigt nicht nur die Geschichte der Christenheit auf, sondern auch die Geschichte einer katholischen Kirche in Wesel, die bereits im 12. Jahrhundert mit dem Bau einer Dominikaner Klosterkirche begann. In seiner Vielschichtigkeit sucht dieses Gesamtkunstwerk seinesgleichen.
Zum Schluss schließt sich der Kreis: Die Schritte, wie zu Beginn, scheinen den Raum nun zu verlassen. Das Gehörte, das Gesehene aber wird mitgenommen und bleibt im Herzen!
Zur Autorin:
Isabel v. Jakubowski wurde in Wesel geboren. Sie studierte Klavier an der Hochschule für Musik Theater in Hannover, an der Ecole Normale de Musique Alfred Cortot in Paris und am Institut Musici Artis in Brüssel. Zu ihren Lehrern zählten Aquiles Delle-Vigne (Arrau Schüler), Karlheinz Kämmerling und Martin Dörrie. Kammermusikalisch erhielt sie Unterricht bei dem Cellisten Michael Flaksman in Mannheim.
An der Folkwang Hochschule Essen-Werden absolvierte sie ein Schulmusik-Studium. Viele Kammermusikalische Konzerte führten sie ins Ausland, wo sie auch Musik der Gegenwart uraufführte. I. v. J. arbeitet als Musik- und Kunstpädagogin. Sie konzertiert kammermusikalisch und solistisch.